Geschichtenerzählen ist ein Teil unserer Existenz, der von unseren prähistorischen Zeiten bis heute nicht wegzudenken ist. Wir alle lieben Geschichten, ob es Märchen, Science-Fiction oder die neueste Klatschstory ist. Sie fesseln uns, lassen uns lachen, weinen oder vor Spannung unsere Fingernägel abkauen. Unser Gehirn liebt Geschichten (siehe Tauchgang #1)! Es speichert sie ab wie eine Bibliothek voller Gebrauchsanleitungen, aus denen es sich je nach Situation und Bedarf bedient. Mit ihrer Hilfe meistern wir das Leben, fühlen uns sicher, verstehen komplexe Ideen, Emotionen und die Welt. Als Individuen erzählen wir anderen und uns selbst „unsere Geschichte“ und formen dadurch unsere Identität und unser Selbstverständnis. Und genau das sind die Geschichten, die es in sich haben: Bühne frei für unsere Glaubenssätze!
Glaubenssätze sind Konstruktionen unserer subjektiven Realität, die tief in unserem Unterbewusstsein verankert sind. Der Clou steckt im Wort: Ein Glaubenssatz ist ein Satz, den wir glauben. Was noch lange nicht bedeutet, dass dieser Satz auch wahr sein muss. Unsere Glaubenssätze beeinflussen wie wir uns, die anderen und die Welt sehen. Sie entstehen in der Regel in den prägenden Jahren unserer Kindheit, vermittelt durch die wichtigsten Bezugspersonen in unserem Leben (in erster Linie unsere Eltern und enge Familienmitglieder), aber auch durch spätere Erfahrungen, Beziehungen und Interaktionen mit anderen Menschen. Wir „schleppen“ diese Glaubenssätze unbewusst über Jahre hinweg bis ins Erwachsenenalter als psychisches Programm mit uns mit. Deswegen läuft uns das Wort „Glaubenssatz“ auch so oft in Verbindung mit dem Begriff des “inneren Kindes” über den Weg. Dabei ist es nicht die Bezugsperson oder das Ereignis allein, die Glaubenssätzen den Nährboden geben, auf dem sie wachsen und gedeihen. Ohne die magische Hauptzutat unserer persönlichen Wahrnehmung und Bewertung der Situation, hätten unsere Glaubenssätze nicht die Macht, die sie haben.
Wo ist der Haken?
Wie alles im Leben, so haben auch unsere Glaubenssätze ihre Sonnen- und ihre Schattenseite:
Positive Glaubenssätze stärken uns und lassen uns fühlen, dass wir, so wie wir sind, in dieser Welt richtig und willkommen sind: „Ich arbeite wirklich hart und werde es im Job weit bringen.“ „Menschen sind gut, und wunderbare Freundschaften können sich überall und zu jeder Zeit entwickeln.“ „Ich kann dem Leben vertrauen; das Gute wird immer siegen.“
Negative Glaubenssätze entstehen in Situationen, in denen wir uns falsch und abgelehnt fühlen: „Ich bin unterqualifiziert für diesen Job, ich sollte mich nicht auf die Stelle bewerben, denn ich verdiene sie nicht.“ „Alle Menschen sind egoistisch und kümmern sich nur um sich selbst.“ „Die Welt ist ein unsicherer Ort, ich sollte meine Komfortzone nicht verlassen.“ Negative Glaubenssätze schwächen uns. Um mit den damit verbundenen Gefühlen klarzukommen oder sie am besten gar nicht mehr spüren zu müssen, entwickeln wir Selbstschutzstrategien (z.B. Rückzug, Harmoniestreben, Perfektionsstreben, Angriff oder Attacke, Macht- und Kontrollstreben). Die Schattenseite unserer Glaubenssätze hat eine große Macht über unsere Gefühle und darauf, wie wir uns selbst, andere und die Welt sehen und wahrnehmen:
Der Glaubenssatz „Ich bin nicht genug!“ z.B. gibt uns das Gefühl, wir wären Hochstapler, nicht, weil wir etwas wirklich nicht können, sondern weil wir es uns nicht zutrauen und ein “falsches” Bild von uns selbst haben (Hochstapler-Syndrom).
„Was ich leiste, ist nicht ausreichend!“ Hier setzen wir uns unrealistisch hohe Standards und machen unseren Selbstwert davon abhängig, ob wir sie erreichen oder nicht. Wenn dass, was wir befürchten, auch eintritt, sind wir am Boden zerstört (Perfektionismus).
Ein beliebter Glaubenssatz ist „Ich werde nie genug Geld/Liebe/Chancen/Glück/etc. haben!“ Unter seiner Herrschaft vergleichen wir uns mit anderen und fühlen uns unzulänglich. In der Konsequenz streben wir dauernd nach etwas, von dem wir hoffen, dass es uns glücklich macht, aber leben nicht im gegenwärtigen Moment. (Mangel/Defizit).
Was tun?
All unsere negativen Glaubenssätze über Nacht verschwinden zu lassen, wird nicht funktionieren. Es sind die eher die kleinen, realisierbaren Schritte („tiny habits“), die nachhaltig und wirkungsvoll sind. Der erste und wichtigste Schritt besteht darin, unseren hinderlichen Glaubenssätzen entschlossen ins Gesicht zu schauen, sie auf den Prüfstand zu stellen, und zu bewerten, was an ihnen wirklich wahr ist und was nicht. Um ihnen auf die Spur zu kommen, müssen wir die Türe zu unserer Vergangenheit öffnen - zu den Geschichten, die wir uns erzählt haben und den Dingen, die uns passiert sind. Erst dann können wir damit anfangen, sie in einem zweiten Schritt gegen neue Glaubenssätze einzutauschen, die uns und unserem Wachstum im Hier und Jetzt dienlicher sind. Wie das aussehen kann, zeigt z.B. das ABCDE-Modell:
A = Aktivierendes Ereignis der Erinnerung: Identifiziere, was den Glaubenssatz ausgelöst hat (z.B. ein Gespräch mit jemandem).
B = Belief/Glaubenssatz: Bestimme die negative Überzeugung, die aus dem Ereignis hervorging (z.B. „Ich bin unfähig.“)
C = Consequences/Konsequenzen: Überlege dir, was passiert, wenn du weiter an diese Überzeugung glaubst (z.B. „Ich werde die Prüfung gar nicht erst schaffen, denn es lohnt sich nicht, sich anzustrengen.“)
D = Disputation: Hinterfrage die einschränkende Überzeugung mit einem rationalen Ansatz (z.B. „Ich werde mehr Zeit in die Vorbereitung investieren, und Nachhilfestunden nehmen“).
E = Effekte: Wandle die einschränkende Überzeugung in eine rationale Überzeugung um, die zu gesünderen Ergebnissen führt (z.B. „Ich habe den für mich idealen Lernansatz und tue alles, was ich kann.“)
Der Pudel und der Kern:
Glaubenssätze sind Geschichten, die wir uns erzählen, schöne und weniger schöne. Oft sind sie ein Überbleibsel unserer Prägungen und Erfahrungen aus unserer Kindheit. Sie waren irgendwann mal hilfreich, unter den damaligen Bedingungen sogar lebensnotwendig. Heute, Jahre und viele Erfahrungen später, können dieselben Glaubenssätze unter geänderten Bedingungen hinderlich sein. Sie weisen uns darauf hin, dass sich die Umstände und das Leben von damals geändert haben und auch wir nicht mehr dieselben sind. Spätestens dann ist es an der Zeit, die Geschichten, die wir uns selbst immer und immer wieder erzählen und die uns nicht weiterbringen auf den Prüfstand zu stellen - und neue zu schreiben.
Liebgewonnene Glaubenssätze loszulassen ist kein Spaziergang. Besonders in schwierigen Zeiten ist die Verlockung groß, zu dem zurückzugehen, was wir kennen und was wir als sicher empfinden (siehe Tauchgang #2). Wir können damit anfangen, die Bibliothek unserer Gebrauchsanweisungen bewusst zu betreten, sie zu entstauben, neu zu arrangieren und zu überlegen, welche neuen Erzählungen uns guttun. Das jeden Tag aufs Neue entscheiden zu können, ist ein echtes Geschenk:
Wie Coaching unterstützen kann:
Mit der Hilfe von Coaching können wir unserem “warum” auf die Schliche kommen und das System unserer hinderlichen Glaubenssätze mit Abstand von außen und aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Ein Coach kann uns dabei unterstützen, unsere Glaubenssätze zu identifizieren. Durch gezielte, liebevoll verstörende Fragen und Reflexionstechniken können unsere unbewussten Überzeugungen sichtbar gemacht werden. Coaching ermutigt uns, unsere Glaubenssätze kritisch zu hinterfragen. Sind sie wahr? Woher kommen sie? Welche Beweise gibt es dafür oder dagegen? Coaches unterstützen uns auch dabei, einschränkende Glaubenssätze umzudeuten. Das kann helfen, eine neue Perspektive zu gewinnen und hinderliche Überzeugungen in förderliche umzuwandeln.
Durch Coaching können wir unsere inneren Ressourcen und Stärken erkennen und nutzen, um alte Glaubenssätze zu überwinden und neue, positive Überzeugungen zu entwickeln. Konkrete Ziele und Handlungspläne helfen dabei, neue Glaubenssätze im Alltag zu verankern und gewünschte Veränderungen umzusetzen.
Meine Bücher des Monats:
The Child in You: The Breakthrough Method of Bringing out your Authentic Self (Stefanie Stahl, 2020).
Think this, not that: 12 Mindshifts to Breakthrough Limiting Beliefs and Become who you Were Born to be (Dr. Josh Axe, 2025)
The Unlimited Self: Destroy Limiting Beliefs, Uncover Inner Greatness, and Live the Good Life (Jonathan Heston, 2015)
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