
Ich erinnere mich an eine Zeit, in der ich eine berufliche Entscheidung treffen musste. Auf dem Papier schien alles klar: eine aufregende neue Stelle, ein Umzug in eine neue Stadt, bessere Bezahlung, ein attraktiver Titel. Mein Kopf sagte: "Zieh es durch! Du wärst dumm, wenn du es nicht tun würdest." Und doch hatte ich unwohliges Gefühl, eine Art leises Unbehagen in meinem Magen. Es gab keine klaren Argumente dagegen, keine nachvollziehbaren Gründe, die mich beunruhigten. Nur ein schüchternes, leises "Nein". Ich habe es ignoriert. Sechs Monate später saß ich in einem Job fest, der mich nicht nur unglücklich, sondern regelrecht krank machte. Der emotionale Stress, das Arbeitsklima, die Werte des Unternehmens - alles fühlte sich "falsch" an. Und ich wusste es von Anfang an. Ich wollte es nur nicht hören
Hast du so etwas auch schon mal erlebt? Ich bin sicher. Vielleicht hat sich die Arbeit mit einem Kunden oder einem Geschäftspartner "komisch" angefühlt. Vielleicht bist du eine neue Beziehung oder Freundschaft eingegangen, und dein Bauchgefühl hat dir gesagt: "Irgendetwas fühlt sich nicht richtig an." Vielleicht hast du blitzschnell eine Entscheidung getroffen, die sich sehr gut anfühlte - ohne genau zu wissen, warum.
Willkommen im faszinierenden Reich der Intuition!
Unsere moderne Welt liebt Fakten, Logik und Analysen. Entscheidungen müssen begründet werden , Pläne müssen Sinn machen. Aber wenn wir uns ausschließlich auf unseren Verstand verlassen, übersehen wir manchmal etwas Wesentliches: unsere innere Stimme. Was sich wie ein Mysterium oder wie Magie anfühlt, basiert in Wirklichkeit auf Wissenschaft: Intuition ist eine tiefe Form des Wissens, gespeist aus unserer Erfahrung, unbewusster Wahrnehmung und einer Weisheit, die älter ist als unser rationaler Verstand.
Forschungen aus der Psychologie und den Neurowissenschaften zeigen, dass Intuition kein Zufallsprodukt ist. Der US-amerikanische Psychologe Gary Klein hat in seinen Studien herausgefunden, dass Feuerwehrleute beispielsweise in der sprichwörtlichen "Hitze des Gefechts" intuitive Entscheidungen treffen, die sich als erstaunlich genau erweisen. Warum das so ist? Weil ihr Gehirn im Bruchteil einer Sekunde auf eine riesige Erfahrungsdatenbank zurückgreift und die beste Lösung präsentiert. Unser Körper erinnert sich an die Emotion, die mit dieser Erfahrung verbunden war, und sendet Signale, so genannte "somatische Marker", zurück an unser Gehirn. Ein mulmiges Gefühl oder ein angenehmes Kribbeln oder etwas, das sich wie ein Knoten in unserem Magen anfühlt, zum Beispiel. Sie helfen uns, blitzschnell zu beurteilen, ob etwas gut oder riskant ist. "Somatische Marker" sind physiologische Reaktionen, die uns mit Entscheidungen helfen können - oder , anders gesagt Gefühle, die unseren Verstand bestimmen. Das zeigt uns, dass unser Gehirn nicht in Vernunft und Emotionen unterteilt ist, sondern als Kombination aus beidem funktioniert!
Wann hilft unsere Intuition und wann nicht?
Hier ist eine mögliche Theorie über das Ying und das Yang unserer Intuition: In seinem Buch "Thinking, Fast and Slow" beschreibt Daniel Kahneman zwei Systeme des Denkens:
System 1: Schnelles, intuitives, automatisches Denken.
Es reagiert sofort auf Reize, erkennt Muster und trifft schnelle Entscheidungen ohne bewusste Anstrengung.
System 2: Langsames, analytisches, bewusstes Denken
Es erfordert Konzentration, logisches Denken und wird für komplexe Probleme benötigt.
Laut Kahneman ist unsere Intuition in Situationen, die uns vertraut und in denen schnelle Entscheidungen erforderlich sind ein besonders weiser Ratgeber. Wenn unsere Intuition auf Erfahrungen oder (un)bewusst erlernten Mustern beruht, scheint sie ausgesprochen wirksam zu sein. Das scheint besonders gut bei einfachen und routinemäßigen Entscheidungen, die kein tiefes Nachdenken erfordern, zu funktionieren.
Unsere Intuition ist ein weniger zuverlässiger Ratgeber , wenn wir uns in komplexen oder neuen Situationen ohne oder mit wenig Vorerfahrung befinden oder wenn unsere Emotionen, Muster und unbewusste Vorurteile unsere Entscheidungen zu beeinflussen oder zu verzerren scheinen.
Was tun? Nach dem Motto "das Beste aus beiden Systemen", vertritt Kahneman die Theorie, dass wir eine große Chance haben, die besten Entscheidungen zu treffen, wenn wir lernen, bewusst zwischen schnellem und langsamem Denken zu wechseln - je nach Bedarf.
Wie können wir unsere Intuition stärken?
Wir können unsere Intuition mit einem fortschrittlichen Navigationssystem vergleichen, das verfeinert und trainiert werden kann. Je mehr wir über ein bestimmtes Thema lernen, desto verlässlicher wird unsere Intuition in diesem Bereich.
Wir können unsere innere Weisheit auch stärken, indem wir auf die Signale unseres Körpers achten. Subtile Reaktionen wie Anspannung oder Entspannung, wenn wir vor einer Entscheidung stehen, können sich buchstäblich auszahlen. Unsere Körpersignale können das Ergebnis davon sein, dass unser Gehirn wertvolle Erfahrungen verarbeitet, die in unserem "Körpergedächtnis" gespeichert sind und sich als Gefühl verkleidet zeigen - schneller als wir (oder besser gesagt unser Gehirn) denken können.
Vielleicht ist dir das auch schon aufgefallen: Aha-momente oder "Erleuchtungen" scheinen dann aufzutreten, wenn wir gerade an etwas anderes denken - zum Beispiel unter der Dusche oder beim Spazierengehen. Unsere ruhigen Momente sind oft gar nicht so ruhig, weil unser Unterbewusstsein weiter auf Autopilot arbeitet. Deshalb lohnt es sich, unserem Gehirn eine Pause zu gönnen und unseren inneren Algorithmus die Arbeit machen zu lassen. Eine bewusst gestaltete Pause kann unserer Intuition Raum geben, sich zu entfalten, sich zu zeigen und uns zu behilflich zu sein.
Ja, ich höre dich denken. Ohne Zweifel, es gibt eine Kluft zwischen dem, was die Wissenschaft sagt, und dem, was wir tun können. Unsere Ängste, Prägungen aus der Kindheit und gesellschaftliche Erwartungen lassen uns zögern, unserem inneren Kompass zu vertrauen und ihm zu folgen. In der Konsequenz daraus haben viele von uns irgendwann aufgehört, ihren Gefühlen zu vertrauen (siehe Tauchgang #7). Vielleicht, weil uns einmal zu oft gesagt wurde, dass wir "uns das nur einbilden" oder "dass wir mal logisch denken sollten" oder "dass wir eine so wichtige Entscheidung nicht aus dem Bauch heraus treffen können!" Es kann gut sein, dass in unserer Vergangenheit unsere Intuition klein geredet wurde, während unser Intellekt in den Vordergrund gedrängt wurde (siehe Tauchgang #11). Das Ergebnis? Wir haben insgeheim ein Misstrauen gegenüber unseren eigenen Gefühlen und Impulsen entwickelt. Wir haben verlernt, unserer Intuition zu folgen. Wenn wir lernen, ihr (wieder) zu vertrauen, schaffen wir Möglichkeiten, die es uns erlauben, weniger Energie für endloses Grübeln zu verschwenden und Entscheidungen mit mehr Leichtigkeit zu treffen.
Der Pudel und der Kern:
Unsere Intuition ist klug, wenn wir sie weise einsetzen. Sie ist leise und doch mächtig. Sie ist das Wissen, das wir bereits in uns tragen, aber das wir manchmal nicht ernst genug nehmen . Sie ist das Ergebnis einer Hochgeschwindigkeitsanalyse von Daten, die in unseren Zellen und in unserem Körper gespeichert sind (siehe Tauchgang #9), ohne dass wir uns mit komplizierten Berechnungen abmühen müssen. Stattdessen gibt sie uns ein sofortiges, einsatzbereites "Ja"- oder "Nein"-Gefühl. Diese Fähigkeit macht unsere Intuition sehr mächtig, aber auch anfällig für Fehler: Sie scheint uns zu dienen , wenn es um Routineentscheidungen geht und wenn sie auf unserer fundierten Erfahrung beruht - und etwas weniger gut in komplexen oder neuen Situationen oder bei datengesteuerten Problemen.
Das größte Geschenk, das wir uns selbst machen können, ist, unser Intuition den Raum zu geben, sich zu äußern, ihr zuzuhören und zu lernen, ihr (wieder) zu vertrauen.
Wie Coaching unterstützen kann:
Wenn es darum geht, unserer Intuition zu vertrauen, kann Coaching eine Brücke bauen: Es kann uns helfen, die sanfte, flüsternde Stimme in uns wieder hörbar zu machen. Durch Fragen und gezielte Reflexionen können wir uns unserer inneren Weisheit bewusster werden, unsere Intuition von Ängsten oder Zweifeln unterscheiden und unsere sabotierenden Glaubenssätze erkennen (siehe Tauchgang #11). Das kann zu der Erkenntnis führen, dass die Geschichten, die wir uns selbst erzählen (siehe Tauchgang #6), nicht unsere eigenen sind, sondern uns von anderen beigebracht wurden. Wir können Wege finden, hinderliche Narrative loszulassen und das Potenzial, das im Schreiben einer neuen persönlichen Geschichte steckt entdecken, die mehr mit unseren Werten und der Art, wie wir leben wollen, übereinstimmt.
Coaching kann uns auch helfen, einfache Entscheidungen intuitiver zu treffen - ohne stundenlange Analysen. Je besser das funktioniert, desto mehr wächst unser Selbstvertrauen. Ein Coach wird diesen Weg mit uns gehen, bis wir uns selbst genug vertrauen, um ihn alleine weiterzugehen.
Meine Bücher des Monats:
Thinking, Fast and Slow (Daniel Kahneman, 2013)
The Power of Intuition: How to use your gut feelings to make better decisions at work (Gary Klein, 2004)
Intuition: How to strengthen the voice of your soul and use it for a self-determined and free life (Alexandra Sorgenicht, 2024)
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