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Tauchgang #2: Gewohnheit macht süchtig

Updated: May 1

 


Habt ihr euch schon einmal gefragt, wie es sein kann, dass einige von uns morgens um fünf Uhr aufstehen, um zu joggen, während andere die Schlummer-Taste am Wecker drücken?


Die Antwort liegt mal wieder in den geheimnisvollen Tiefen unseres Gehirns: Zähne putzen, Hemd zuknöpfen, Schuhe zubinden, oder auch komplexere Vorgänge wie z.B. Autofahren oder Kochen, werden dadurch zu Gewohnheiten, dass wir sie ständig wiederholen und irgendwann unbewusst ausführen.


Gewohnheiten sind Verhaltensweisen, die wir regelmäßig ausüben, ohne darüber nachzudenken oder abzuwägen. Sie bestimmen unser Leben, und lotsen uns still und heimlich durch den Tag. Sie werden immer durch etwas ausgelöst und haben den Zweck, uns eine Belohnung zu verschaffen. Das läuft ungefähr so ab:


1.    Der Auslöser (z.B. ein Ort, eine Zeit, eine emotionale Verfassung, andere Menschen oder ein vorausgegangenes Ereignis) stößt eine feststehende Abfolge von Handlungen oder Verhaltensweisen an.

2.    Unser Gehirn entscheidet, ob eine Abfolge von Handlungen als Routine abspeichert oder nicht. Die Grundlage dafür ist, ob es damit eine Belohnung, also etwas, das uns glücklich macht oder sich einfach gut anfühlt, verbindet oder nicht.

3.    Unser Gehirn verstärkt das, was es kennt, indem es Botenstoffe ausschüttet, durch die wir uns besonders wohlfühlen. Beim Zähneputzen z.B. ist die Belohnung das gute Gefühl, besonders glatte, saubere Zähne zu haben. Unser "Belohnungssystem" wird aktiviert!

4.    Wenn wir auf dieser Grundlage die Erfahrung machen, dass ein bestimmtes Verhalten zu einer Belohnung führt, wiederholen wir es möglichst oft: Die gleiche Abfolge von Handlungen, die zu einer Belohnung führen, wird wieder und wieder und wieder ausgeführt. Hallo, Gewohnheit!


„Sich etwas zur Gewohnheit zu machen“, heißt also kurz gesagt, „Belohnung neu zu definieren“.


Oft genug wiederholt, frisst sich der Pfad einer neuen oder geänderten Gewohnheit tief in unser Gehirn und wird irgendwann automatisch abgeschritten. Voilà, eine neue Gewohnheit erblickt das Licht der Welt! Das folgende kurze Video verdeutlicht diesen Prozess sehr treffend und spielerisch:



Kein Wunder also, dass Gewohnheiten „Suchtpotential“ haben. Sie tragen nicht nur zu unserem Wohlbefinden bei, sie geben uns auch Sicherheit, denn sie garantieren, dass das Leben um uns herum (und damit wir selbst) gleichbleibt. Diese Gleichförmigkeit gibt uns Stabilität in einer komplexen und unberechenbaren Welt, und sichert uns damit unser Überleben. Ohne Gewohnheiten wäre unser Gehirn mit den vielen Details des Alltags überfordert, denn die Konfrontation mit neuen Dingen erfordert Aufmerksamkeit und Konzentration. Deswegen versucht es, alles zu routinisieren. In dem wir nicht mehr über grundlegende Verhaltensweisen (wie z.B. das Gehen) nachdenken müssen, geht unser Gehirn auf „Energiesparmodus“. Dadurch steht uns mehr mentale Energie zur Verfügung, um etwas anderes zu tun.


Was genau passiert in unserem Gehirn, wenn sich Gewohnheiten entwickeln?


Wenn sich Gewohnheiten entwickeln, dann hören die Areale in unserem Gehirn, die für komplexe Denkprozesse und Entscheidungen zuständig sind und die am meisten Energie benötigen (siehe Tauchgang #1), auf zu arbeiten. Aktiv bleibt in diesem Modus nur unser sog. „Handlungsgedächtnis“, die Basalganglien. In ihnen werden all die Bewegungsmuster abgelegt, die sich irgendwann mal als erfolgreich erwiesen bzw. zu einer Belohnung geführt haben. Die Basalganglien aktivieren die gewohnten Muster, während der Rest des Gehirns ruht. Es wird erst dann wieder aktiv, wenn wir auf Probleme stoßen.


Während also ein Großteil unseres täglichen Lebens (zwischen 30-50%) und Handels auf „Autopilot“ läuft, unterscheidet unser Gehirn nicht zwischen guten und schlechten Gewohnheiten. Das ist dann unproblematisch, wenn unsere Gewohnheiten mit unseren Zielen übereinstimmen. Dann sind sie uns nützlich oder manchmal sogar überlebenswichtig. Wenn sie aber nicht mit unseren Zielen übereinstimmen, dann stören sie, rauben uns Energie, Zeit – und manchmal schaden sie unserer seelischen, mentalen oder körperlichen Gesundheit.


Wenn wir also bemerken, dass einige unserer Gewohnheiten unsere Wahrnehmung einschränken oder uns das Leben schwermachen, und wir beginnen, uns zu fragen, ob es nicht einen besseren Weg gibt, dann fällt uns in der Regel auf, wie schwer es sein kann, eine unliebsame Gewohnheit zu ändern.


Warum ist das so?


Eine Ursache liegt in dem oben beschriebenen „Energiespartrick“ unseres Gehirns: Dessen Steuerung liegt in einem Bereich, den wir nicht bewusst kontrollieren. Zudem funktioniert der Auslösereiz als Startpunkt und die Belohnung als Endpunkt unserer Gewohnheiten für unser Gehirn wie Schranken, in deren Grenzen es sich ausruhen kann. Dieser Mechanismus gilt für einfache (z.B. Gehen) genauso wie für komplexere (z.B. Autofahren) Abläufe (Segeln) gleichermaßen.


Eine weitere Hürde auf dem Weg zur Verhaltensänderung, ist, dass wir Menschen dazu neigen, eine unmittelbare Belohnung überzubewerten, während wir den Wert von zukünftigen Belohnungen oder Strafen zu niedrig ansetzen. Das nennt man „hyperbolische Diskontierung“: die Neigung, sofortige Belohnungen überzubewerten und die Effekte von künftigen Belohnungen oder Strafen herunterzuspielen. Wir wollen lieber 10 Euro jetzt als 12,50 Euro in drei Tagen – oder jetzt den Kuchen, der auf dem Tisch vor uns liegt, als in die Bikini-Figur für den Sommerurlaub, der noch ein halbes Jahr entfernt ist. Wenn die Belohnung (oder die Strafe) in weiter Ferne liegen, dann können wir uns nicht oder nur sehr schwer aufraffen, etwas dafür tun.


Neue Gewohnheiten zu etablieren ist grundsätzlich einfacher, als alte abzulegen. Ohne Hilfe von außen schwinden die Chancen, das eigene Verhalten zu überdenken und zu ändern. Leider ereilt uns diese Hilfe nicht selten in Gestalt sog. „teachable moments" (schwerer Krankheit, Scheidung, Jobwechsel oder einer neuen Bezugsgruppe), also einschneidender und oft schmerzvoller Ereignisse, die uns zwingen, unsere Handlungsmuster kritisch unter die Lupe zu nehmen.


Was kann man daraus mitnehmen?

Hat sich eine Gewohnheit einmal eingeschliffen, ist es sehr schwer, sie zu ändern, wenn man das will. Wenn wir uns bewusst machen, wie die Mechanismen unserer Routinen funktionieren, was sie auslöst und wo sie ansetzen, dann können wir sie auf den Prüfstand stellen und/oder neue Gewohnheiten ausbilden, die besser zu unseren gewünschten Zielen und zu unserer Identität passen.


„Wir denken immer zuerst daran, die Einstellungen zu ändern, um dann zum Verhalten zu kommen. Umgekehrt müsste es sein. Wenn wir es schaffen, das Verhalten zu ändern, ändert sich auch das Denken.“. (Bas Verplanken)


Welche Rolle kann Coaching spielen?

Coaching kann helfen, hinderliche Verhaltensmuster zu erkennen, in dem durch gezielte Fragen und Reflexionen die Perspektive auf das eigene Verhalten geändert wird. Es kann auch bei der Änderung dieser Muster dadurch unterstützen, das die Entwicklung von individuellen Strategien und Zielen angeregt wird, die am besten zum eigenen Wertesystem passen.

 

Meine Bücher des Monats:

The Psyschology of Habit” (Bas Verplanken, 2018)

 

 

 

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